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Dienstag, 28. Februar 2012

Windige Perspektive

"Seit Tagen rauscht Hans-Jochen Tschiche durch den Blätterwald mit seiner Behauptung, Joachim Gauck wäre kein Bürgerrechtler gewesen. Stimmt, denn Bürgerrechtler gab es nicht in der DDR. Es gab viele unterschiedliche Formen des Widerstandes, meist, aber nicht nur, unter dem Dach der Evangelischen Kirche.1"
Ich habe Tschiche Ende Oktober, Anfang November 1989 kennengelernt. Kennengelernt ist vielleicht der fasche Ausdruck. Ich bezweifle ob er sich an mich erinnert. So, wie mich erst die Lengsfeld an ihn erinnert hat.

Ich habe ihn im Magdeburger Dom reden hören und am 'Runden Tisch' erlebt, damals, als die Betriebskampfgruppen aus dem SKET und dem SKL - unbewaffnet - vor den Kirchentüren aufmarschiert waren, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Tschiche ist mir weder vorher, noch nachher als Bürgerrechtler aufgefallen. Er war in den Magdeburger Novembertagen ein Moderator, Vertreter des Neuen Forums - mehr nicht. Ich habe ihn als eher pastoralen Redner in Erinnerung, sein persönliches Ambiente strahlte protestantische Spießbürgerlichkeit aus. Testosteronfrei, wie so viele 'Revolutinäre'. Was den alten Mann bewegt, sich heute als Kronzeuge gegen Gauck in Position zu bringen, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich sind es innerprotestantische Animositäten.

Eines habe ich dem Tschiche allerdings verdanken, wenn auch indirekt. Ich konnte in 1990, unter Führung des damaligen Domküsters, auf die Türme des Domes steigen, um, von einer wackligen Holzplattform aus, Magdeburg aus windiger Perspektive bewundern. Zu einer Zeit, als uns Kohl die Revolution schön längst gestohlen hatte.
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(1) Der Bürgerrechtler als Denunziant; Freie Welt; Vera Lengsfeld

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