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Dienstag, 28. Mai 2013

Das Tagebuch des Peter Hagendorf (I)

Ich lese, zum wiederholten Male, das Tagebuch des Peter Hagendorf(1) aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Der Protagonist wurde vermutlich in Zerbst geboren und er verdingte sich, wie viele nachgeborene Söhne seiner Zeit ohne Anspruch auf Erbe, schon recht früh als Landsknecht, zunächst in Italien. Er blieb, bis zum Ende seiner Aufzeichnungen, ein Söldner und kämpfte auf nahezu allen Schlachtfeldern dieses Krieges. Größtenteils in den Diensten des Kaisers, er war ein stolzer Pappenheimer (Bild: Graf Pappenheim), aber auch bei den Schweden, in deren Gewalt er, zeitweilig, nach einem missglückten Gefecht geriet.

Vor den Augen des Lesers entfaltet sich nicht nur eine faszinierende Geschichte, bei der man fast bedauert zu spät geboren zu sein, sondern auch eine Persönlichkeit, in dessen Brust ein gar abenteuerliches Herz schlägt. Man liest weder von Wehen oder Weinen, noch hört man Klagen, ob der Widrigkeiten, die das Leben ihm reichlich bereitet. Er nimmt es, wie es kommt, immer bemüht, das Beste daraus zu machen. Er heiratet die „ehrentugendsame“ Anna Stadlerin von „Traunstein aus dem Bayernland“, zeugt mit ihr sieben Kinder - von denen die meisten allerdings schon im Kindbett sterben - und führt im Felde ein fast bürgerliches Leben. Als seine Anna stirbt, wünscht er ihr nicht nur eine fröhliche Auferstehung, sondern äußert auch die Hoffnung, sie im Himmel wieder in seine Arme schließen zu dürfen.

Bei der Erstürmung Magdeburgs am 20. Mai 1631 wird er am Neustädter Tor, „frühmorgens um 9 Uhr“, durch zwei Kugeln schwer verwundet. Eine Episode, die mich auch deshalb persönlich anrührt, weil ich ziemlich genau dort, wo Hagendorf von Ketzerkugeln niedergestreckt und von seiner Anna gerettet wurde, rund 360 Jahre später eine Wohnung hatte. Das Frau Anna, weil ihr Mann daniederlag, loszog, um sich an der Plünderung der Stadt zu beteiligen, macht die Geschichte, die ich auch aus den Augenzeugenberichten damals lebender Magdeburger kenne, um ein vielfaches plastischer: Man kennt die Orte aus eigener Erfahrung und die erzählte Mär zieht vor den geistigen Auge so vorüber, als wäre man mittendrin, im Pulverdampf und Büchsenknall, dem Jammer, den Klagen, dem Erbarmen und dem Singen und Beten.

Hier entsteht sie, die Verbundenheit mit der Tradition, dem Blut und den Vorvorderen, die dem urbanen, geistig verwahrlosten Menschen der Jetztzeit so völlig abhanden gekommen ist.

(Wird fortgesetzt, so Gott noch will)

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Peter Hagendorf; Tagebuch; V&R unipress; 2012; ISBN: 978-389971-993-2

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